Zum Jahreswechsel – je nachdem, welchem Kalendarium man anhängt, heute ist das orthodoxe Neujahr nach dem julianischen Kalender – ist es Mode, Rückblicke und Vorschauen zu machen. Meist dienen diese bestimmten Zwecken, aber wenn ein progressiver Historiker und Politologe vorausschaut, dann kann das schon mal ganz sattsam sein.
Der besseren Verdaulichkeit wegen machen wir mal mehrere Portionen draus – heute die erste davon. 😉
Bevor man die Sichtweise Fursows bewertet oder ablehnt, sollte man sehen, was daraus Nützliches entnommen werden kann.
Und bitte nicht vergessen: „’Welt‘ ist immer etwas Künstliches.“ (A. Wagandt)
© für die Übersetzung aus dem Russischen by Luckyhans, 14.1.2017
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Die Welt der Zukunft
Das Gespräch mit Andrej Fursow führte O. Morosow von ‚Unser Zeitgenosse‘ („Nash sowremennik“)
1. Wohin geht diese Welt (d.h. wie sieht das Bild der Zukunft aus)?
– Die Welt geht zielstrebig auf das Ende des Kapitalismus zu. Von letzterem ist nicht mehr viel übrig: einen Markt gibt es praktisch nicht, es gibt globale Monopole; der Staat stirbt ab; die Bürgergesellschaft verlangweiligt sich; die Politik verwandelt sich in eine Kombination von administrativem System und Show-Business, des Geld hat eine Reihe von Funktionen verloren und hat in bedeutendem Maße aufgehört, Geld zu sein; die Europäer haben eine ihrer Grundlagen verloren – den Arbeitsethos, dem Kapital ist es fast gelungen, die Arbeit zu verschlucken, zu fressen, aber es hört dadurch immer mehr auf, Kapital zu sein.
1.1. Wer baut eine neue Welt?
– Es sind gleichzeitig zwei Prozesse im Gange: die Zerstörung der alten Welt und der Aufbau einer neuen. Die alte kapitalistische Welt wird von der eigenen kapitalistischen Spitze zerstört – diese braucht sie, zumindest in der Perspektive, nicht mehr.
Seit Mitte der 1970er Jahre läuft die Demontage des Kapitalismus. Er „fährt“ sozusagen in seine „vordemokratische Vergangenheit“ zurück, in die Epoche der „eisernen Ferse“ und der Ost-Indien-Companies, dieser Vorläufer der heutigen transnationalen Corporations, nur etwas „härter“ als die letzteren. Die Stillegung des Fortschritts ist die Methode der Schaffung einer neuen Welt durch die Weltspitze.
Für den größeren Teil der Menschheit wird diese „neue Welt“ sich als neue „dunkle Jahrhunderte“ erweisen – bitte nicht verwechseln mit dem Mittelalter, das im 9. Jahrhundert begann, mit dem Zerfall des Imperiums Karls des Großen.
„Dunkle Jahrhunderte“ – das ist die Zeit zwischen der Mitte des 6. Jh. (endgültiges Funktionsende des Systems der römischen Aquädukte; das Ende des Römischen Imperiums 476 ist eine gefälschte Erfindung der römischen Oberpriester, die damit ihre Rolle herausstellen wollten) bis zur Mitte des 9. Jh.
Die Dunkeljahrhunderte sind tatsächlich eine Epoche der Finsternis und des Blutes, im Unterschied zum von den Vertretern der Renaissance und besonders der Aufklärung (Betrügern vom Typ Voltaire) verlogenen Mittelalter – einer hellen Epoche, bis gar zum Beginn des 14. Jh.; das 14. – 17. Jh. ist wieder ein Dunkelzeitalter, welches übrigens eine genauso marktschreierische wie gefälschte Fassade hatte – die Renaissance.
1.2. Gibt es eine Alternative zum westlichen Modell der Zukunft (einem neuen Dunkelzeitalter)?
– Zum jetzigen Zeitpunkt ist eine solche Alternative schlecht zu erkennen. Heute ist das wichtigste, das Dunkelalter-Projekt nicht zur Realisierung kommen zu lassen, und dann wird man sehen müssen. Die Alternative besteht in Widerstand gegen die globalistische Tagesordnung, d.h. gegen den Kurs auf barbarische Verringerung der Bevölkerung des Planeten, die Zerstörung des Staates (der Souveränität), der Familie, der Wissenschaft, der Bildung, des Gesundheitswesens – letzteres, wie Michael Moore treffend bemerkte, verwandelt sich in das Gesundheitsunwesen (oder Krankheitswesen).
1.3. Gibt es eine Möglichkeit, auf jenen Entwicklungsweg zurückzukehren, auf dem der Planet vor 50 – 60 Jahren unterwegs war?
– Wohl kaum. Eine Rückkehr und Restauration ist in der Geschichte nicht möglich. Es ist unmöglich, jene einmalige Epoche 1945 – 1975 zu wiederholen – das Anrucken der Menschheit unter Führung der UdSSR in die Zukunft, ein Anrucken, das von der bornierten sowjetischen Nomenklatura und der berechnenden Spitze der kapitalistischen Welt (gemeinsam!) künstlich unterbrochen wurde. Die sowjetische Spitze hat für diese zeitweilige Verbindung mit der Zerstörung der UdSSR bezahlt.
1.4. Kann man den Menschen die Zukunftsgewißheit wiedergeben, die Hoffnung und den Optimismus?
– Optimismus ist der seelische Zustand starker und heiler Menschen, die nicht nur einfach die Umstände verändern können, sondern solche erschaffen. Optimismus ist eine nicht leichte, aber gleichzeitig freudige Arbeit, oft gegen das Schicksal.
Optimismus kann man nicht geben, schenken, zurückgeben. Er entsteht im Kampf. Selbstverständlich gibt es eine biochemische (genetische) Grundlage des Optimismus, dennoch ist Optimismus eine soziale Funktion gesunder Gesellschaften. (wir merken: Fursow ist überzeugter Grobstoff-Materialist, denn sowas wie Vertrauen in das Schicksal oder in feinstoffliche Wirkungen ist ihm fremd – d.Ü.)
Es ist ausreichend, die sowjetische Gesellschaft von Mitte der 1930er bis Mitte der 1960er Jahre („Für uns gibt’s keine Hindernisse zu Lande und auf dem Meer“ /Marsch der Enthusiasten, 1940/, lest Iwan Jefremows Bücher „Der Andromeda-Nebel“ und viele andere) mit jener sowjetischen Gesellschaft der 1970er-80er Jahre zu vergleichen – jener müden, zynischen, sarkastischen und freudlosen.
Und das ungeachtet dessen, daß man in den 1970er Jahren komfortabler, leichter und satter lebte; die Angst weg war, aber das Glück wollte sich nicht einstellen.
Die 1960er Jahre waren ein kurzer Moment der Hoffnung, die sich nicht durchgesetzt hat, weder bei uns, noch in der Welt.
1.5. Kann man den Fortschritt allen Menschen (oder wenigstens der Mehrzahl) zu Diensten machen?
– Die UdSSR hat das versucht. Und etwa 30 Jahre ist es uns gelungen. Also kann man.
Nur muß man dabei wachsam sein und sich an die stalinsche Warnung erinnern, daß im Maße der Entwicklung des Sozialismus der Klassenkampf sich verschärft, d.h. daß die Gefahr einer Entartung offensichtlich ist. So ist es auch gekommen, wobei als erste bestimmte Segmente des ZK der KPdSU und des KGB entartet sind. Die Partei-Inquisition hat nicht funktioniert. (siehe dazu unseren Perestrojka-Beitrag – auch für Nicht-Marxisten interessant – s.Ü.).
1.6. Ein Traum als Skizze einer Zukunft – wovon träumen die Menschen heute?
– Verschiedene Menschen träumen von unterschiedlichem. Das hängt davon ab, worauf sie orientiert sind – auf Wirklichkeit, Erscheinung oder Macht. D.h. entweder auf die Welt der dunklen und vulgären Leidenschaften (Reichtum und Vergnügen um jeden Preis für sich selbst und auf Kosten anderer), oder auf solidarische Arbeit auf der Grundlage sozialer Gerechtigkeit und Erhalt der eigenen ethnokulturellen Identität.
(also Gerechtigkeit und heimatliche Gemeinschaft – d.Ü.)
2. Das Problem der „goldenen Milliarde“ ist das gefährlichste Problem der Gegenwart, sind Sie damit einverstanden?
– Das Problem der „goldenen Milliarde“ in der Form, wie es formuliert wurde, ist nicht das gefährlichste, denn diese Milliarde verwischt sich schon. In Europa verwischen sie die Araber, Türken, Kurden, Afrikaner und es wird deren immer mehr.
Man hat den Eindruck, daß der euroäische Teil der „goldenen Milliarde“ abgeschrieben wurde und in das „Klosett der Geschichte“ gespült wird, oder man versucht, auf selektivem Wege mit Hilfe der Leute aus dem Süden aus den Europäern einen neuen Typus herauszuarbeiten, der nicht mit der Anzahl, sondern mit dem Können für eine Zukunft kämpfen wird.
Allerdings ist es momentan so, daß die jungen gebildeten Europäer nach Kanada, Australien und Neuseeland emigrieren und nicht in die VSA, wo es auch bald sehr heiß wird. Denn dort sind die sozialen Probleme vermischt mit den rassischen: die Neger, die jetzt nur noch Afroamerikaner genannt werden dürfen, und die Spanischsprechenden (Latinos).
(da „vergißt“ Herr Fursow mal eben die Asiaten – Japaner und Chinesen, die in den letzten Jahren dort weiter zugenommen haben und traditionell ihre eigenen Stadtteile habe, z.B. NY-Chinatown, wo sich kaum ein weißer oder schwarzer Cop hintraut – d.Ü.)
Die rassische und ethnokulturelle Zusammensetzung des Westens verändert sich. Eigentlich gibt es den Westen im gewohnten Sinne schon nicht mehr. Es gibt eine postwestliche postchristliche Gesellschaft, die zielstrebig auf die „Abflußrinne der Geschichte“ zurollt.
Irgendeinen Plan haben jene, die B. Disraeli die „Hausherren der Geschichte“ genannt hat und der Schriftsteller O. Markejew die „Hausherren des Weltspiels“, aber zum einen scheint die Situation außer Kontrolle zu geraten. Und zum zweiten wächst der Kampf um die Zukunft innerhalb der herrschenden Weltelite (sie ist doch nicht homogen).
Und mit diesen Widersprüchen müssen wir spielen, wie es Stalin in den 1930er Jahren getan hat.
2.1. Welcher Platz ist Rußland und den Russen (verallgemeinert, d.h. den Einwohnern Rußlands) in diesem Plan zugewiesen?
– Im ursprünglichen Plan gab es, denke ich, gar keinen Platz für die Russen und viele andere nichtwestliche Völker. Aber, ich wiederhole, der Plan scheint zu zerbrechen. Übrigens, einige Linien werden von den Globalisten sehr hart verfolgt: die Zerstörung des Staates, der Familie, der Bildung, der Gesunderhaltung und der Wissenschaft. Das ist Teil ihrer globalen Tagesordnung.
Deshalb glaube ich, ungeachtet jeglicher Rhetorik und situativen lautstarken Aktionen in der Außenpolitik, an die guten Absichten nur einer solchen Macht hier bei uns, die den Niedergang der Wissenschaft, der Bildung und des Gesundheitswesens aufhält, d.h. die globalistische Tagesordnung auf diesen Gebieten zerbricht. (genau richtig! – d.Ü.)
Was soll dieser Kampf um die Souveränität der Staates heute, wenn alles so läuft, daß morgen niemand und nichts (durch das Fehler gesunder Mannsbilder und Hirne) mehr da sein wird, um selbige zu verteidigen? (macht sehr nachdenklich, oder? – d.Ü.)
2.2. Welchen Plan können wir anstelle dessen anbieten?
– Wir – wer ist das? Das Volk, die Oligarchen, die Machthaber? Um einen Plan vorzuschlagen, muß man eine Strategie haben. Um eine Strategie zu haben, muß man eine Ideologie haben.
Wir haben einen Staat, der formal ohne und außerideologisch ist, aber das Schicksal jener, die in der heutigen Welt keine Ideologie haben (und folglich auch kein Zukunftsprojekt), ist ein Picknick am Wegesrand der Geschichte, in der Erwartung, daß vielleicht die Hausherren ihn zu einem neuen Feiertag des Lebens rufen werden.
(ohne „Ideologie“ keine Zukunft? warum das Zukunftsprojekt nicht auf die allgemeinmenschlichen, natürlichen Werte gründen? – d.Ü.)
Man wird aber nicht mal die ausgedienten „Fieslinge“ rufen: „Rom zahlt Verrätern nichts“.
(ob das wohl „unseren“ alliiertenhörigen Polit-Marionutten klar ist? – d.Ü.)
Das Ziel Rußlands kann nur eines sein: überleben und siegen im 21. Jh., dabei seine Identität bewahren, seine Bevölkerung und sein Territorium. Das ist das Minimalprogramm. (wohl für alle Völker – d.Ü.)
Schaffen kann man das nur auf dem Wege der Erschaffung eines sozialen Systems, das sich auf soziale Gerechtigkeit gründet, dann werden Macht und Heimat ein und dasselbe. Die Leute können töten für Geld, aber sterben für Geld wird niemand. Für die Heimat – schon, der Große Vaterländische Krieg hat das gezeigt.
Genau deshalb haben wir ja auch gesiegt – hinter uns stand ein gerechtes soziales System, dessen kollektivistisch-antikapitalistischer Charakter den russischen Archetypen des Bewußtseins und des Unterbewußtseins entsprach – und dem kulturell-historischen Code; wie Alexander Blok sagte, der Bolschewismus „ist eine Eigenschaft der russischen Seele, und nicht eine Fraktion in der Staatsduma“.
(gut, wenn man sich mal von der gezielt vernebelnden ideologischen Rhetorik löst und die Dinge real betrachtet, dann erkennt man, daß Heimat und Gerechtigkeit genau jener „Klebstoff“ sind, welcher ein Volk zusammenhält und zu besonderen Taten befähigt – das gibt doch zu denken, oder? – d.Ü.)
Das 21. Jahrhundert wird eine Zeit des härtesten Kampfes für die Zukunft, wenn ganze Staaten, Ethnien und Kulturen schonungslos ohne Ressentiments vom Radiergummi der Geschichte ausradiert werden. Die Macht-Schurken (und deren Name ist Legion, ein Beispiel: schaut in das Gesicht von H. Clinton) werden vor nichts zurückschrecken.
In diesem Kampf werden die gefestigten sozialen Systeme überleben und siegen, welche durch einen einheitlichen Wertecodex verschweißt, durch eine minimale soziale Polarisierung charakterisiert und mit einem hohen Anteil von Wissensträgern ausgestattet sind, solche Nationen-Corporations.
(ja, die bekannte materialistisch-kollektivistische Kampf-Ideologie des Marxismus – d.Ü.)
Oligarchische Systeme werden in diesem Kampf nicht überleben, ihr Schicksal ist es, der wirtschaftliche Dünger zu werden, der Dung für die Starken; eigentlich haben sie auch nichts anderes verdient.
In der zweiten Hälfte des 20. Jh. haben die oligarchisierten Machtstrukturen in der UdSSR zweimal den Fortschritt blockiert und bitter dafür bezahlt. In der Mitte der 1960er Jahre war die UdSSR bereit, einen wissenschaftlich-technischen Durchbruch in die Zukunft zu tun und sich aus einem antikapitalistischen System in ein reales postkapitalistisches zu verwandeln, allerdings war das weder im Interesse der sowjetischen Nomenklatura, noch der Spitze der kapitalistischen Weltklasse.
Dieser Durchbruch ist hart blockiert worden, und der Höhenflug der Erdöl- und Erdgaspreise hat in die sowjetische Führung ein Gefühl der Beruhigtheit und der tiefen Befriedigung eingebracht. Bei uns wird an die Brezhnjew-Zeiten oft mit Rührung erinnert – Stabilität, Zukunftsgewißheit. Und in der kurzfristigen Perspektive war das auch so, aber in der mittelfristigen (und erst recht in der langfristigen) war die Brezhnjew-Epoche ein Verspeisen der Zukunft, eine Zeit der versäumten historischen Möglichkeiten.
„Sackähnliche Greise… die Angst vor der eigenen Ehefrau hatten“ (E. Njeiswestnyj) haben die Zukunft des Systems vergeigt – sie ist in und vermittels ihnen gestorben. Und das trotz dem, daß in der vielschichtigen UdSSR ein supermächtiger wissenschaftlich-technischer Komplex existierte, der nicht später als zu Beginn der 1990er Jahre in die Zukunft durchstarten sollte.
Allerdings wurde dem Durchbruch der 1960er erst mit Gaskondensat und Erdöl ein Bein gestellt, und das zweite Mal mit der Perestrojka und der Zerstörung der UdSSR, deren Grundlage der banale Wunsch der sowjetischen Nomenklatura war, „sich in die Bourgeoisie einzuschreiben“.
Es bleibt nur zu hoffen, daß die ganz zu Ende der 198er Jahre erfolgte Evakuierung des Regimes nicht nur eine finanzielle war, sonder nauch eine wissenschaftlich-technische. Übrigens ist ein „Schuß aus der Zukunft“ wunderbar, aber man selbst sollte auch nicht fehlgehen.
(Fortsetzung folgt)
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